Wir haben bereits die Anziehungskraft erwähnt, die die organische Architektur des Goetheanums auf René Mayer ausübt. Aber diese Vorliebe für biomorphe Formen ist nur einer der Pole seiner künstlerischen Sensibilität. Der andere ist seine Vorliebe für Einfachheit und Reduktion, wie sie seit den 1920er Jahren von einer Akademie propagiert wurde, die weltweit berühmt wurde: das Bauhaus von Walter Gropius, das 1919 in Weimar eröffnet wurde, 1925 nach Dessau verlegt wurde und 1933 in Berlin-Steglitz auf Druck der nationalsozialistischen Behörden aufgelöst wurde. In dieser Institution konzentrierten sich Forschung und Lehre zunächst auf die Wiederbelebung des Handwerks in der Kunst. Danach kam die Überlegung zur Vereinfachung der Formen von Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs. Ob es sich um Salzstreuer, Teekannen, Nachttischlampen, Tapeten oder Möbel handelt – hauptsächlich Stühle und Sofas -, um nur einige Beispiele zu nennen, wurde der Stil des vorherigen Jahrhunderts grundsätzlich in Frage gestellt. Im Geist der „Meister“ (wie die Lehrer am Bauhaus genannt wurden) war das Ziel der Formvereinfachung sowohl industriell (die Schaffung von Objekten, die sehr rational produziert werden können) als auch ästhetisch (die Schaffung von schönen Objekten). Diese Überlegungen kulminierten im Konzept des „weniger ist mehr“, also der Ablehnung jeglicher überflüssiger Verzierung – ein Konzept, das auch das Motto des deutsch-amerikanischen Architekten und Designers Ludwig Mies van der Rohe war, einem der einflussreichsten „Meister“ am Bauhaus. Mies van der Rohe spielte eine entscheidende Rolle bei der weltweiten Verbreitung des Geistes des Bauhauses. Der berühmte deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona von 1929, den er zusammen mit Lilly Reich entworfen hatte, und der Sessel „Barcelona“, der für diesen Pavillon geschaffen wurde, gehören zu seinen bemerkenswertesten Werken.
Um zu den beiden konzeptuellen Achsen zurückzukehren, die René Mayers Denken leiten: Eine (zu) schnelle Überlegung könnte zu der Annahme führen, dass der Künstler eine verwirrende Ambivalenz zeigt, indem er gleichzeitig zwei völlig gegensätzliche Doktrinen annimmt. Aber der Widerspruch ist nur oberflächlich. Oder genauer gesagt betrifft er nur einen Aspekt der Frage: den Stil. Es versteht sich von selbst, dass der klare Stil des Bauhauses im Widerspruch – oder vielmehr als Gegenpol – zum manchmal überschwänglichen biomorphen Design der organischen Architektur steht. Die Frage lautet also: Was verbindet die Welt des Bauhauses mit der des Goetheanums? Die Antwort liegt in einer leuchtenden Evidenz: dem handwerklichen Ansatz, der beiden Philosophien eigen ist. Denn die organische Architektur, die sich in Symbiose mit der Natur entwickeln möchte, wie es die Kreationen von Frank Lloyd Wright beanspruchen, bevorzugt logischerweise natürliche Materialien wie Ziegel, Holz und Stein – und fördert folglich das Handwerk, das sie verarbeitet. Sowohl Steiner (der das Goetheanum aus Beton gebaut hat, das dürfen wir nicht vergessen…!) als auch Gropius sind sich der Bedeutung handwerklichen Könnens vollkommen bewusst. In seinen Lehrgrundsätzen geht Steiner sogar so weit zu sagen, dass das Ziel des handwerklichen Unterrichts (heute „Kunsthandwerk“) nicht darin besteht, die Schüler auf eine gute Beherrschung handwerklicher Techniken vorzubereiten, sondern darauf abzielt, nützliche und verwendbare Gegenstände zu schaffen.
Also ist das Bewusstsein für die lebenswichtige – im Sinne von „lebensnotwendig“ – Bedeutung des Handwerks der rote Faden, der René Mayer leitet. Wenn er sagt, dass er im Grunde seines Herzens ein Handwerker ist, legt er klar, aber ohne es zu verbalisieren, den Schwerpunkt auf das Konzept des Lebens: Das Herz ist nicht nur der Ort, an dem der biologische Lebenspuls schlägt, sondern auch der emotionale Lebenspuls. – Im Laufe der Jahre und seiner künstlerischen Experimente hat René Mayer immer tiefer verstanden und verinnerlicht, wie wichtig der kreative Akt ist und wie wichtig es ist, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. Aus der Ehrlichkeit und Bescheidenheit dieses Ansatzes entsteht die Flamme, die den Werken Persönlichkeit, Legitimität und Vitalität verleiht, die Produkte aus einer Fabrik am anderen Ende der Welt niemals haben werden.