In der Geschichte der westlichen Malerei war die lineare Perspektive lange Zeit das bevorzugte Mittel, um den visuellen Raum nach einem rationalen Modell zu organisieren. Seit Brunelleschi und Alberti wird das Gemälde als ein offenes Fenster zur Welt verstanden, das um einen oder mehrere Fluchtpunkte zentriert ist, deren Funktion darin besteht, dreidimensionale Tiefe zu simulieren. Dieses aus der Renaissance stammende System wurde durch die Forschungen von Künstlern wie Piero della Francesca, Leonardo da Vinci oder Andrea Mantegna weiterentwickelt, bevor es zum akademischen Kanon wurde.
Der ‚annullamento prospettico‘ – oder die Aufhebung der Perspektive – bezeichnet die bewusste Ablehnung dieser Konventionen. Es handelt sich dabei nicht um eine technische Lockerung, sondern um eine kritische Geste: eine Art, den Raum zu verflachen, die Tiefe zu neutralisieren, visuelle Hierarchien aufzuheben, um die Oberfläche als Ort des Geschehens wieder zu bekräftigen. Diese Umkehrung entspricht keinem bestimmten Stil. Sie findet sich sowohl in den ersten kubistischen Experimenten von Picasso oder Braque – wo die Vervielfachung der Blickwinkel die räumliche Kohärenz aufhebt – als auch im russischen Konstruktivismus von Lissitzky, in der Radikalität von Kasimir Malewitsch, in den gitterartigen Gemälden von Agnès Martin oder in den frontalen Dispositiven von Joseph Albers.
In der zeitgenössischen Kunst wird diese Strategie zu einer eigenständigen konzeptuellen Frage. Sie hinterfragt weniger den darzustellenden Raum als vielmehr die Bedingungen der Darstellung selbst. Das Bild hört auf, eine Illusion zu sein: Es wird zur Struktur. Die Aufhebung der Perspektive wird somit genutzt, um die Aufmerksamkeit vom dargestellten Motiv auf die Bildsprache selbst zu lenken. Diese Verschiebung verwandelt die Malerei in ein Experimentierfeld, in dem das Sehen auch ein Denken ist.
Insbesondere die abstrakte Kunst bot einen fruchtbaren Boden für diesen Wandel. Das Bild ist nicht mehr ein Raum, den man durchquert, sondern eine Ebene, die man bewohnt. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Aufhebung der Perspektive nicht jeder Abstraktion innewohnt. Einige abstrakte Maler bewahren räumliche Effekte: Man denke an die tiefen Lasuren von Mark Rothko, die geschichteten Massen von Nicolas de Staël oder die optischen Flimmern von Olga Rozanova. Andere hingegen betonen die radikale Frontalität des Trägers – Piet Mondrian mit seinen orthogonalen Kompositionen, Ad Reinhardt mit seinen fast unsichtbaren Monochromen oder Barnett Newman mit seinen vertikalen Zips.
In jedem Fall ist diese Ablehnung der Tiefe niemals Selbstzweck. Es handelt sich um eine strategische Entscheidung, die ein Nachdenken über das Bild erfordert. Der Raum wird nicht mehr simuliert, sondern rekonstruiert. Und in dieser Spannung zwischen perspektivischem Erbe und beanspruchter Flächigkeit liegt ein wesentlicher Teil der bildnerischen Moderne.
Eine plastische Entscheidung – nicht nur eine Folge der Abstraktion
Bei René Mayer ist die Aufhebung der Perspektive weder eine automatische Folge der Abstraktion noch ein einfaches formales Merkmal. Sie ist das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, einer plastischen und intellektuellen Entscheidung, die sein gesamtes Werk prägt. Obwohl seine Werke keiner realistischen Darstellung zuzuordnen sind, hätten sie, wie die vieler abstrakter Maler, räumliche Hinweise enthalten können: Tiefeneffekte, Massstabsunterschiede, diagonale Spannungen. Dies ist jedoch nie der Fall. Es gibt weder Horizont noch Zentrum noch Fluchtlinie. Der Raum wird nicht angedeutet, er wird abgelehnt. Alles spielt sich in der Ebene, auf der Ebene, mit der Ebene ab.
Diese strukturelle Ablehnung verleiht seinem Werk eine einzigartige Wahrnehmungskohärenz. Die Bildfläche wird nicht als einfacher Träger betrachtet, sondern wird zum Ort des Geschehens. Insofern wird die Aufhebung der Perspektive zu einem kritischen Werkzeug, das jede illusionistische Lesart verhindert und den Blick auf die inneren Beziehungen der Formen lenkt. Was René Mayer schafft, ist kein Bild, sondern ein Feld visueller Spannungen.
In seinen Bildern koexistieren geometrische Elemente – Quadrate, Kreise, Gitter, Schichten, lineare Punktierungen – ohne sich jemals in einer optischen Tiefe zu organisieren. Sie kreuzen sich, überlagern sich, unterbrechen sich, bleiben aber vom Blickpunkt aus gesehen gleich weit entfernt. Der Betrachter wird nicht eingeladen, in das Bild einzutreten, sondern auf seiner Oberfläche zu zirkulieren. Diese bewusste und konsequente frontale Positionierung erfordert eine andere Lesart der Welt: nicht mehr aus einer festen und souveränen Perspektive, sondern aus einem dynamischen Gleichgewicht zwischen sichtbaren Kräften heraus. Damit geht das Werk von René Mayer über die reine Abstraktion hinaus: Es hinterfragt die Möglichkeit einer fokussierten Sichtweise.7
„Kasten“ – die Ebene als Gefängnis und Fluchtweg
Die Serie „Kasten“ ist ein paradigmatisches Beispiel für René Mayers Verhältnis zur Aufhebung der Perspektive. Auf den ersten Blick könnten einige Gemälde einen organisierten Raum, eine stabile, fast architektonische räumliche Ordnung suggerieren. Gitter, Reihen und sich wiederholende geometrische Formen vermitteln kurzzeitig den Eindruck einer kontrollierten Struktur. Doch dieser Eindruck löst sich schnell auf. Es gibt keinen Hinweis, der eine kohärente Tiefe konstruieren könnte. Es gibt weder Boden noch Horizont, weder Fluchtpunkt noch Perspektivlinie. Alles spielt sich in absoluter Frontalität ab. Die Formen sind zwar geordnet, folgen aber keinem Projektionssystem. Sie existieren auf derselben Ebene, ohne räumliche Hierarchie, in einem Raum, der niemals versucht, die dreidimensionale Realität zu simulieren.
Diese bewusst gewählte Flächigkeit ist keineswegs neutral. Sie ist Teil einer präzisen visuellen und symbolischen Strategie. In dieser Serie ist das Quadrat – eine zentrale und wiederkehrende Form – niemals nur dekorativ. Es erinnert gleichzeitig an eine Zelle, eine Schachtel, einen vorgegebenen Rahmen, Schutz und Eingeschlossenheit. Diese visuelle Ambivalenz spiegelt eine ethische Spannung wider: Sind wir eingesperrt, um geschützt zu sein, oder werden wir um den Preis unserer Gefangenschaft geschützt? Indem er sich weigert, diese Figuren in einen tiefen Raum zu setzen, radikalisiert René Mayer die Position des Betrachters. Dieser kann nicht in einen beruhigenden Hintergrund flüchten. Er bleibt vor der Oberfläche stehen und ist gezwungen, das Gesehene kritisch zu betrachten.
Diese Positionierung deckt sich mit den Analysen, die Michel Foucault in ‚Überwachen und Strafen‘ oder in seinen Arbeiten über Verschliessungsdispositive entwickelt. Das Quadrat kann in dieser Hinsicht als Diagramm der Macht gelesen werden, als Ort, an dem das Sichtbare zu einer Form der Kontrolle wird. Doch während disziplinärer Systeme ihre Autorität hinter einer falschen Transparenz zu verbergen suchen, legt René Mayer die Struktur offen. Er tarnt sie nicht mit perspektivischen Kunstgriffen, sondern offenbart ihre inneren Spannungen.
Hier kommt die Aufhebung der Perspektive voll zur Geltung. Sie ist nicht nur eine formale Reduktion. Sie wirkt wie eine kritische Geste, eine Art, die räumliche Erzählung auszusetzen, um die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen den Elementen zu lenken. Indem er auf jede Tiefe verzichtet, durchbricht René Mayer die Illusion der Distanz. Der Betrachter sieht sich einer Oberfläche gegenüber, die von grafischen Spannungen gesättigt ist: offene oder geschlossene Quadrate, sich kreuzende Kreise, scharfe Spitzen, sich wiederholende Raster. Jedes dieser Motive wirkt wie eine Kraft, die präsent ist. Es handelt sich nicht um Symbole, sondern um plastische Dynamiken.
Einige Kritiker haben diese Strategie mit der von Josef Albers in der Serie ‚Homage to the Square‘ verglichen. Auch dort folgen Quadrate aufeinander, überlagern sich, antworten einander, ohne jemals eine Illusion von Raum zu erzeugen. Bei René Mayer ist jedoch die politische Dimension stärker ausgeprägt. Während Albers die chromatische Wahrnehmung erforscht, konfrontiert René Mayer Formen mit impliziten sozialen Spannungen. Das Quadrat ist nicht nur ein visuelles Modul, sondern wird zu einer Figur der Zuweisung, der auferlegten Ordnung, des normativen Rahmens.
Der Einsatz störender Elemente – zerbrochene Gitter, durchdringende Formen, verwischte Kanten – verstärkt diese Spannung. Diese Elemente wirken niemals als Verzierungen. Sie durchbrechen keinen imaginären Raum. Sie brechen die Regelmässigkeit der Fläche auf, nicht um eine verborgene Tiefe zu offenbaren, sondern um zu zeigen, dass die Fläche selbst ein Ort des Konflikts ist. René Mayer inszeniert einen Raum, in dem Formen aufeinanderprallen, sich streifen, sich durchdringen, ohne sich jedoch jemals zu lösen.
In diesem Zusammenhang ist die Aufhebung der Perspektive kein Stilmittel, sondern eine Voraussetzung für die Möglichkeit der Darstellung. Sie verhindert, dass der Blick sich abwendet. Sie zwingt ihn, sich den visuellen Elementen in ihrer Gleichzeitigkeit, ihrer Koexistenz und ihrer Unreduzierbarkeit zu stellen. Diese Entscheidung reiht das Werk in eine Tradition der kritischen Frontalität ein, die aus der Moderne stammt, hier jedoch aus einer zeitgenössischen Perspektive neu konfiguriert wird. Man könnte auch die Arbeiten von Daniel Buren erwähnen, der Wiederholung und Flächigkeit einsetzt, um Tiefe zu neutralisieren und die Selbstreferenzialität des Mediums zu betonen.
Bei René Mayer geht diese Selbstreferenzialität jedoch nie zu Lasten des Sinns. Das Bild bleibt ein Raum der Fragestellungen. Es hinterfragt unsere Beziehung zum Raum, zur Norm, zur Sichtbarkeit. Der Blick, der nicht in das Bild eindringen kann, wird eingeladen, dessen Dichte zu ermessen. Es geht nicht mehr darum, eine Szene zu betrachten, sondern sich einer Situation zu stellen. Die Ebene wird zu einem Spiegel ohne Tiefe, aber voller Intensität.
So begnügt sich die Serie „Kasten“ nicht damit, die Perspektive aufzuheben, sondern hebt sie auf, um eine andere Beziehung zum Sichtbaren herzustellen. Eine Beziehung, in der das Gezeigte auf nichts Äusseres verweist, sondern hier und jetzt wirkt, in der stillen Frontalität eines Bildes ohne Fluchtpunkt.
„Bewegte Erde“ – die Welt ebnen und ihre Spannungen offenbaren
Die Serie „Bewegte Erde“ illustriert in einer anderen plastischen Form dieselbe formale Ausrichtung wie die anderen Bilderserien von René Mayer. Auch hier bildet die Aufhebung der Perspektive eine der Grundlagen der Komposition. Die Bearbeitung der Oberfläche erfolgt jedoch durch eine zusätzliche Schicht: die der Materie. René Mayer fügt zerknülltes, geklebtes und bemaltes Papier ein, das mit der einheitlichen Flächigkeit des traditionellen Trägers bricht. Dieses taktile Relief erzeugt jedoch keine optische Tiefenwirkung. Es versucht nicht, Volumen zu simulieren, sondern die Erschütterungen einer verletzten, bearbeiteten, von inneren Kräften bewegten Oberfläche physisch wiederzugeben. Es handelt sich nicht um eine illusionistische Modellierung wie in den Landschaften der Barockmalerei, sondern um eine reale, frontale, perspektivlose Zerknitterung.
Diese Zerknitterung materialisiert eine Erde ohne Massstab, ohne Horizont, ohne Ankerpunkt. Der Blick gleitet über einen Raum, der von oben gesehen wird, wie eine geologische Karte ohne Koordinatengitter, wo die Oberfläche selbst zu einem Palimpsest wird. Zu diesem organischen Feld kommen scharfkantige geometrische Formen hinzu – Dreiecke, Quadrate, Rechtecke, Kreise –, deren Klarheit in starkem Kontrast zu den Unebenheiten des Papiers steht. Diese Elemente dienen nicht dazu, einen tiefen Raum zu strukturieren, sondern die Spannung der Fläche zu verstärken. Sie suggerieren weder eine atmosphärische Perspektive noch eine symbolische Verräumlichung. Sie drängen sich wie willkürliche Ausschnitte als fremde Eingriffe auf einem widerständigen Boden auf.
Man könnte an bestimmte Werke von Robert Smithson denken, insbesondere an seine ‚Non-Sites‘, in denen verschobene und unter Spannung gesetzte Materialien Strukturen bilden, die sich der Illusion entziehen und sich als rohe Konfrontationen zwischen Form und Boden präsentieren. Oder an Alberto Burri, dessen ‚Cretti‘ (oder verbrannte Leinwände) die unüberwindbare Materialität der Oberfläche als Ort der Bruchstelle und der Erinnerung bekräftigen. Bei René Mayer bleibt diese Materialität jedoch untrennbar mit einer grafischen Arbeit verbunden. Das zerknüllte Papier bleibt nicht sich selbst überlassen, sondern unterliegt einer präzisen Orchestrierung, die in Wechselwirkung mit definierten Formen durchdacht ist. Das Bild wird konstruiert, nicht zufällig erzeugt.
In dieser Serie erfolgt die Aufhebung der Perspektive somit auf zwei Arten: durch das Fehlende optischer Tiefe einerseits und durch die konfliktreiche Koexistenz von Materie und Grafik andererseits. Diese doppelte Handlungsebene verhindert jede illusionistische Interpretation. Der Betrachter kann seinen Blick nicht in eine visuelle Anderswelt projizieren.
Er bleibt mit einer unruhigen, zerschnittenen Oberfläche konfrontiert, die von Formen bearbeitet ist, die nicht dazu dienen, den Raum zu vereinheitlichen, sondern ihn wie eine Wunde zu öffnen. Die Oberfläche wird zu einem Kampfplatz, zu einer Spannungsfläche zwischen gegensätzlichen Kräften: dem Flexiblen und dem Starren, dem Zufälligen und dem Geometrischen, dem Zerknitterten und dem Gezeichneten.
Diese formale Entscheidung knüpft an bestimmte Überlegungen von Georges Didi-Huberman über die Oberfläche als Ort des visuellen Ereignisses an. In ‚Ce que nous voyons, ce qui nous regarde‘ (Was wir sehen, was uns ansieht) schreibt er, dass ‚das Sichtbare niemals als Ganzes gegeben ist, sondern immer zerrissen, zerkratzt, uneben‘. Genau das zeigt René Mayer: ein konfliktreiches, fragmentiertes, unzusammenhängendes Sichtbares, in dem der Blick nicht absorbiert, sondern in einer Art aktiver Spannung gehalten wird.
Die Erde wird hier weder als Landschaft noch als idealisierte Natur dargestellt. Sie wird als verletzliche, durchquerte, umkämpfte Oberfläche evoziert. Es ist weder eine Szene noch ein Hintergrund, sondern ein Kraftfeld. Man könnte diesen Ansatz mit dem von Mona Hatoum in bestimmten kartografischen Werken vergleichen, in denen Territorien als Konfliktzonen und nicht mehr als stabile Einheiten neu gezeichnet werden. Doch während Hatoum explizite geopolitische Bezüge herstellt, arbeitet René Mayer in einer radikalen Abstraktion, in der die Bedeutung offenbleibt.
Indem er jede Perspektive, jede hierarchische Verräumlichung verweigert, verhindert René Mayer die Identifizierung eines zentralen Blickpunkts. Es gibt keinen Platz für das souveräne Auge, für den panoramischen Blick. Diese Haltung entspricht bestimmten Kritiken, die seit dem 20. Jahrhundert an der Perspektive geäussert wurden, insbesondere von Künstlern des Minimalismus oder der Land Art, die im perspektivischen System ein ideologisches Instrument der Herrschaft sahen. Die Aufhebung der Perspektive bei René Mayer wirkt somit wie eine stille Krise des Blicks. Sie entzieht dem Bild die Tiefe, nicht um es zu verflachen, sondern um es zu aktivieren. Die Oberfläche wird zu einer Bühne der Unterbrechung, zu einem Ort, an dem man nicht kontempliert, sondern konfrontiert wird.
Was sich in „Bewegte Erde“ abspielt, ist also keine Darstellung der Natur, sondern eine Konfrontation mit der Materialität des Bildes selbst. Das Gemälde hört auf, ein Fenster zu sein, und wird zur Wand. Eine Wand, die nicht verbirgt, sondern offenlegt. Eine Wand, die nicht trennt, sondern Widerstand leistet.
„Schleichende Veränderung“ – Zufallsgeometrie auf einer kontrollierten Ebene
Die Serie „Schleichende Veränderung“, deren wiederkehrendes Motiv der Casino-Chip ist, treibt die Logik, die René Mayer in seinem gesamten malerischen Werk anwendet, auf die Spitze. Die Anordnung ist streng, aber diese Strenge erzeugt weder illusionistischen Raum noch Tiefenwirkung. Die Chips sind mit fast algorithmischer Präzision gemalt oder geklebt, ohne jedoch auf die visuellen Konventionen der Perspektive zurückzugreifen. Sie sind in Gruppen, unterbrochenen Linien und manchmal in fast symmetrischen Figuren angeordnet, ohne jedoch ein Volumen zu bilden. Ihre Anordnung folgt keinem Fluchtpunkt und hebt jede Zentralität und räumliche Hierarchie auf. Diese Ablehnung ist nicht passiv: Sie verkörpert eine Form des Widerstands gegen die klassische Kompositionslogik.
Jeder Chip hat eine eigene Präsenz. Ihre Grössen variieren, ihre Farben kontrastieren oder verschmelzen, jedoch niemals in einer Logik der Entfernung oder der simulierten Nähe. Es handelt sich um grafische Einheiten, nicht um dargestellte Objekte. Sie sind weder näher noch weiter entfernt: Sie sind einfach da, auf derselben Ebene, in gleichem Abstand zum Betrachter. Diese ausgeprägte Flächigkeit reiht die Serie in eine plastische Tradition ein, die bis zu den ersten geometrischen Abstraktionen des 20. Jahrhunderts zurückreicht, sich jedoch durch die Spannung zwischen Struktur und Störung davon abhebt. Das Ensemble erinnert manchmal an das instabile Gleichgewicht der Kompositionen von Sophie Taeuber-Arp oder an die nicht hierarchischen Anordnungen von André Cadere, ohne jedoch jemals in Unordnung oder Spontaneität zu verfallen.
In diesem strengen Rahmen wirkt die Aufhebung der Perspektive wie eine entscheidende Entscheidung. Sie neutralisiert jede Möglichkeit einer räumlichen Erzählung. Sie verhindert, dass der Blick einen Hintergrund konstruiert oder eine Flugbahn in die Tiefe imaginiert. Der Blick ist somit dazu verdammt, an der Oberfläche zu bleiben, seitlich zu wandern und die Beziehungen zwischen den Elementen zu untersuchen, anstatt sie zu verorten. Diese kritische Geste erinnert an bestimmte Analysen von Rosalind Krauss zum modernistischen Raster: Indem es die Tiefe verweigert, macht das Raster die Struktur des Bildes selbst sichtbar. Doch während Krauss darin eine Logik der Autonomie erkennt, führt René Mayer Unordnung in die Ordnung, Zufall in das System ein.
Denn die Spielsteine sind zwar perfekt in die Fläche integriert, aber nicht rein mechanisch angeordnet. Ihre Verteilung folgt zwar einer inneren Logik, die jedoch schwer zu rekonstruieren ist. Sie widersetzt sich jeder Analyse. Der Gesamteindruck ist der eines Systems, das darauf ausgelegt ist, das Unvorhersehbare aufzunehmen. Der Betrachter kann darin Motive, Sequenzen, Symmetrien erkennen – doch diese Anhaltspunkte werden sofort verwischt, verschoben, widerlegt. Diese visuelle Unbestimmtheit hält die Aufmerksamkeit in einer ständigen Spannung. Nichts stabilisiert sich.
Diese scheinbare Instabilität ist einer der subtilsten Effekte der Aufhebung der Perspektive. Indem er jede klassische Verräumlichung ablehnt, verhindert René Mayer, dass sich der Blick in einer visuellen Bequemlichkeit einrichtet. Es geht hier nicht darum, Ordnung abzulehnen, sondern eine beruhigende Ordnung. Das Bild ist kein Ort der Projektion, sondern der Konfrontation. Der Betrachter tritt nicht in das Bild ein, sondern wird mit ihm konfrontiert. Die Ebene wirkt dann wie ein Magnetfeld, in dem jedes Element die anderen anzieht oder abstösst, ohne eine Illusion von Tiefe zu erzeugen. Die Malerei wird zu einem System ohne Zentrum, zu einem Raum ohne Orientierung.
Diese Art der Komposition ähnelt in gewisser Weise den Forschungen von John Cage im Bereich der Musik, wo Zufälligkeit nicht eine Aufgabe der Form ist, sondern eine Möglichkeit, die Absicht zu verschieben. Bei René Mayer ist es nicht der Zufall, der die Oberfläche bestimmt, sondern eine Struktur, die ausgewogene Ungleichgewichte zulässt. Die Aufhebung der Perspektive wird so zum Mittel, diese divergierenden Kräfte in einer Ebene zu halten, ohne sie jemals zu hierarchisieren. Die Einheit des Bildes entsteht nicht aus der Perspektive, sondern aus dem Nebeneinander der Singularitäten.
Auf einer eher konzeptuellen Ebene lässt sich auch eine Nähe dieser Serie zu bestimmten Werken von Hanne Darboven oder Roman Opalka feststellen, wo die Anhäufung sich wiederholender Zeichen sowohl eine zeitliche als auch eine visuelle Erfahrung erzeugt. In „Schleichende Veränderung” ist das Motiv der Münze gleichzeitig Bild, Masseinheit und rhythmische Störung. Es schafft eine Beziehung zur Bildzeit, zur Wiederholung, zur Variation, ohne jemals in Narration oder Verräumlichung zu verfallen.
So kristallisiert die Serie „Schleichende Veränderung“ eine Spannung heraus, die für das Werk von René Mayer charakteristisch ist: die einer Oberfläche, die von inneren Gesetzen bestimmt ist, aber offen für Ungewissheit bleibt. Die Aufhebung der Perspektive ist hier keine Vereinfachung, sondern eine Verfeinerung. Sie hält den Blick in einer Art fruchtbarer Instabilität, in der jedes Element zählt, aber keines dominiert. Die Ebene ist nicht mehr Träger einer verborgenen Tiefe, sondern Ort, an dem sich ein anspruchsvoller plastischer Gedanke entfaltet, der das Zufällige aufnehmen kann, ohne es zu entwaffnen.
Die fehlende Tiefe als strukturierendes Prinzip
Es wäre zu kurz gegriffen, die Aufhebung der Perspektive bei René Mayer als einfache formale Entscheidung oder als stilistisches Mittel der modernistischen Abstraktion zu interpretieren. Diese Ablehnung ist weder formalistisch noch historisch zitierend, sondern Teil einer grundlegenden Ausrichtung seines Schaffens, seiner Art, den Blick zu richten und Bilder zu konstruieren.
Die fehlende Tiefe fungiert dabei als strukturierendes Prinzip, ebenso wie die Frontalität oder die Ausgewogenheit der Formen. Die Ablehnung der Tiefe bedeutet die Ablehnung der impliziten Hierarchie, die die Perspektive organisiert. Es ist der Verzicht auf eine Weltanschauung, die auf der Dominanz eines einzigen Blickwinkels, auf dem Primat des beobachtenden Subjekts und auf der Strukturierung eines Raums basiert, der der Logik der Projektion unterworfen ist. Insofern wirkt die Aufhebung der Perspektive wie eine Deaktivierung der Distanz. Sie hebt die Möglichkeit eines Hintergrunds, eines visuellen Anderswo auf, um den Blick zu zwingen, hier und jetzt auf der Oberfläche zu bleiben.
Diese Entscheidung impliziert eine radikale Verschiebung: Jede Form zählt, nicht aufgrund ihrer Position in einem illusorischen Raum, sondern aufgrund ihrer unmittelbaren Interaktion mit den anderen. Jedes Element wird auf die gleiche Ebene gestellt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Es gibt keine Tiefe mehr, in die man sich flüchten kann, keine Kulisse mehr, die der Fantasie Raum gibt. Das Bild wird zu einem aktiven Feld, einem Ort der Konfrontation zwischen Zeichen, Farben, Gesten und Materialien. Diese Frontalität, die streng wirken könnte, erzeugt im Gegenteil eine besondere Intensität: die der Koexistenz, der visuellen Dichte, des Blicks ohne Ausweg.
In dieser Hinsicht schliesst sich die Aufhebung der Perspektive den kritischen Überlegungen an, die seit den 1960er Jahren von Künstlern wie Hans Haacke, Daniel Buren oder Adrian Piper angestellt wurden, die die Bedingungen der Sichtbarkeit und die Darstellungsformen hinterfragten. Bei René Mayer erfolgt diese Geste jedoch nicht über Textualität oder museale Dispositive. Sie manifestiert sich in der plastischen Strenge, in der straffen Bildkomposition und in der Ökonomie der Effekte. Es geht weniger darum, anzuprangern, als vielmehr darum, etwas anders zu zeigen: Malerei zu einem nicht-hierarchischen Raum zu machen, in dem die Logik des Blicks nicht mehr die der Macht reproduziert.
Diese Logik ist unabhängig von den Serien konstant. In „Endlichkeit“ gehorchen die nebeneinander angeordneten oder zerschnittenen Körper, die aus anonymen Fotokopien stammen, keiner optischen Hierarchie. Sie sind wie schwebende Fragmente angeordnet, Farb- oder Filtervariationen unterworfen, aber immer auf derselben Ebene, ohne Tiefe und Inszenierung. Ähnlich verhält es sich in der Serie „Augen“, in der Augenmotive ohne einen gemeinsamen Brennpunkt verstreut sind. Der Blick ruht nicht auf einem Objekt, sondern wird auf sich selbst zurückgeworfen, gefangen in einem Netz von Zeichen ohne festgelegte Richtung.
In „Experimente“ wird diese Logik noch deutlicher. Geometrische Elemente, mechanische Raster und chromatische Rhythmen korrespondieren in einem Feld ohne Hierarchie. Das Bild ist keine Szene. Es ist eine Struktur. Und diese Struktur verbirgt nichts: Sie bekräftigt ihre Materialität, ihre Zweidimensionalität, ihre nackte Präsenz. Die fehlende Tiefe ist keine Einschränkung, sondern eine Voraussetzung für die Lesbarkeit. Sie ermöglicht es, das Bild als ein System von Interaktionen zu betrachten und nicht als eine Darstellung der Aussenwelt.
Es muss betont werden, dass diese Ablehnung der Tiefe bei René Mayer niemals zu einer Starrheit oder analytischen Kälte führt. Im Gegenteil, es ist gerade diese radikale Entscheidung, die einen Raum für Bedeutung eröffnet. Die Malerei wird zu einem Ort der Aufmerksamkeit, zu einer Übung des Sehens. Sie ist kein Raum, den man betritt, sondern ein Feld, in das man sich einlässt. Das Werk bietet keine Reise, sondern Spannung. Es führt nicht, es fordert.
Insofern wird die Aufhebung der Perspektive zu einer grundsätzlichen Entscheidung. Sie markiert eine Position im visuellen Feld: nicht durch Illusion zu verführen, dem Auge nicht zu schmeicheln, sondern es auf andere Weise anzusprechen. Sie bekräftigt, dass jede Form es verdient, um ihrer selbst willen betrachtet zu werden und nicht wegen ihrer Rolle in einer narrativen Komposition. Diese diskrete, aber grundlegende Umkehrung macht die Malerei von René Mayer zu einer Praxis der Genauigkeit. Genauigkeit der Bildkomposition, Genauigkeit der Formen, Genauigkeit des Blicks.
Fazit – ein Blick ohne Fluchtpunkt
Weit entfernt von einem Bruch oder einer einfachen Ablehnung der Tradition, ist die Aufhebung der Perspektive bei René Mayer ein strukturierendes Prinzip. Diese formale Entscheidung zieht sich diskret, aber konstant durch sein gesamtes malerisches Werk. Es handelt sich nicht um eine dogmatische Ablehnung der Tiefe, sondern um eine Art, das visuelle Feld ausserhalb jeder räumlichen Hierarchie neu zu ordnen. Das Bild ist kein Fenster mehr, sondern wird zu einer gespannten, aktiven Fläche, auf der jedes Element gleichberechtigt existiert, ohne Fluchtpunkt, ohne Schwerpunkt.
In dieser bewusst gewählten Frontalität wird nichts projiziert, alles wird präsentiert. Die Formen dienen nicht dazu, eine Illusion zu suggerieren, sondern eine Beziehung herzustellen. Ob es sich um die durchquerten Quadrate in „Kasten“, die zerknitterten Landschaften in „Bewegte Erde“ oder die verstreuten Motive in „Schleichende Veränderung“ handelt, der Blick wird nie auf einen Hintergrund gelenkt. Er bleibt in direktem Kontakt mit der Oberfläche und ist gezwungen, sich ohne Perspektive darauf zu bewegen, um ihr zu entkommen. Diese Verschiebung verändert nicht nur die Art und Weise, wie man sieht, sondern auch das, was man sieht: Die Malerei wird zu einem Operationsfeld, nicht zu einem Ort der Darstellung.
Diese Ebene ist bei René Mayer nicht nur wegen dem wertvoll, was sie ablehnt – Tiefe, Simulation, zentraler Blickpunkt –, sondern auch wegen dem, was sie ermöglicht: die Koexistenz von Spannungen, das Gleichgewicht zwischen Struktur und Störung, die laterale Lesart der Formen. Es ist diese Wahl der Ebene, die als Grundlage der Komposition dient, die seinem Werk seine visuelle Kohärenz verleiht. Jedes Bild ist wie ein Raum ohne Aussen konstruiert, den man nicht betritt, sondern dem man sich in seiner stillen Organisation stellt.
Die Ablehnung der Perspektive bedeutet also nicht, den Raum zu leugnen, sondern seine Bedingungen neu zu konfigurieren. Diese Geste ist in René Mayers Werk weder rhetorisch noch theoretisch. Sie ist plastisch, streng und zutiefst strukturierend. Sie bestimmt das Bild, lenkt den Blick und bekräftigt eine Position: die einer Kunst, die nicht führt, sondern vorschlägt – die keine Welt zeigt, sondern eine Fläche konstruiert, auf der sich die Realität anders darstellt.
Diese Entscheidung impliziert eine radikale Verschiebung: Jede Form zählt, nicht aufgrund ihrer Position in einem illusorischen Raum, sondern aufgrund ihrer unmittelbaren Interaktion mit den anderen. Jedes Element wird auf die gleiche Ebene gestellt – im wörtlichen wie im konzeptuellen Sinne. Es gibt keine Tiefe mehr, in die man sich flüchten kann, keine Kulisse mehr, die der Fantasie Raum gibt. Das Bild wird zu einem aktiven Feld, einem Ort der Konfrontation zwischen Zeichen, Farben, Gesten und Materialien. Diese Frontalität, die streng wirken könnte, erzeugt im Gegenteil eine besondere Intensität: die der Koexistenz, der visuellen Dichte, des Blicks ohne Ausweg.
In dieser Hinsicht schliesst sich die Aufhebung der Perspektive den kritischen Überlegungen an, die seit den 1960er Jahren von Künstlern wie Hans Haacke, Daniel Buren oder Adrian Piper angestellt wurden, die die Bedingungen der Sichtbarkeit und die Darstellungsformen hinterfragten. Bei René Mayer erfolgt diese Geste jedoch nicht über Textualität oder museale Inszenierung. Sie manifestiert sich in der plastischen Strenge, in der straffen Bildkomposition und in der Ökonomie der Effekte. Es geht weniger darum, anzuprangern, als vielmehr darum, etwas anders zu zeigen: Malerei zu einem nicht-hierarchischen Raum zu machen, in dem die Logik des Blicks nicht mehr die der Macht reproduziert.
Diese Logik ist in allen Serien gleichbleibend. In „Endlichkeit“ gehorchen die nebeneinander angeordneten oder zerschnittenen Körper, die aus anonymen Fotokopien stammen, keiner optischen Hierarchie. Sie sind wie schwebende Fragmente angeordnet, Farbvariationen oder Filtern unterworfen, aber immer auf derselben Ebene, ohne Tiefe und Inszenierung. Ähnlich verhält es sich in der Serie „Augen“, in der Augenmotive ohne gemeinsamen Brennpunkt verstreut sind. Der Blick ruht nicht auf einem Objekt, sondern wird auf sich selbst zurückgeworfen, gefangen in einem Netz von Zeichen ohne festgelegte Richtung.
In „Experimente“ wird diese Logik noch deutlicher. Geometrische Elemente, mechanische Strukturen und chromatische Rhythmen korrespondieren in einem Feld ohne Hierarchie. Das Bild ist keine Szene. Es ist eine Struktur. Und diese Struktur verbirgt nichts: Sie bekräftigt ihre Materialität, ihre Zweidimensionalität, ihre nackte Präsenz. Die fehlende Tiefe ist keine Einschränkung, sondern eine Voraussetzung für die Lesbarkeit. Sie ermöglicht es, das Bild als ein System von Interaktionen zu betrachten und nicht als eine Darstellung der Aussenwelt.
Es muss betont werden, dass diese Ablehnung der Tiefe bei René Mayer niemals zu einer Starrheit oder analytischen Kälte führt. Im Gegenteil, es ist gerade diese radikale Entscheidung, die einen Raum für Bedeutung eröffnet. Die Malerei wird zu einem Ort der Aufmerksamkeit, zu einer Übung des Sehens. Es ist kein Raum, den man betritt, sondern ein Feld, in das man sich einbringt. Das Werk bietet keine Reise, sondern Spannung. Es führt nicht, es fordert.
Insofern wird die Aufhebung der Perspektive zu einer grundsätzlichen Entscheidung. Sie markiert eine Position im visuellen Feld: nicht durch Illusion verführen, nicht dem Auge schmeicheln, sondern es auf andere Weise ansprechen. Sie bekräftigt, dass jede Form für sich betrachtet werden muss und nicht aufgrund ihrer Rolle in einer narrativen Komposition. Diese diskrete, aber grundlegende Umkehrung macht die Malerei von René Mayer zu einer Praxis der Genauigkeit. Genauigkeit der Fläche, Genauigkeit der Formen, Genauigkeit des Blicks.