René Mayer – Zeitgenössische Skulptur und Material

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Materialien – eine wachsende Vielfalt

Was ist zeitgenössische Skulptur? Diese scheinbar einfache Frage erfordert weniger eine Definition als vielmehr eine sich wandelnde Kartografie. Denn Skulptur ist heute keine Disziplin mehr, die durch edle Materialien oder erkennbare Werkzeuge begrenzt ist. Sie wird von einer Vielzahl von Praktiken, Ansätzen und Gesten durchzogen, die ihre traditionellen Grundlagen ins Wanken bringen. Künstler arbeiten mit Bronze oder Kaugummi, Marmor oder rostigem Metall, Ton, Harz, Asche, Textilien, Zucker oder sogar Luft. Nicht mehr die Stabilität des Materials bildet die Grundlage des Werks, sondern das, was der Künstler daraus macht: die Art und Weise, wie er es in einem Raum des Wartens, der Unterbrechung, der Berührung oder der Instabilität ins Spiel bringt.

Aktives Material – widerstandsfähiges Material

Zeitgenössische Skulptur und Material werden nicht mehr durch Haltbarkeit oder Edelheit definiert. Richard Serra zeigte ihre physische Kraft mit «Tilted Arc», das den Körper zwang, seine Bahn zu ändern. Gianni Motti entfernt das Material und ersetzt es durch Geste oder Gerücht. Susana Solano schliesst den Raum in geschlossene Volumen ein, während Erwin Wurm den Betrachter in seinen «One Minute Sculptures» in provisorisches Material verwandelt. Giuseppe Penone offenbart die latenten Formen des Baumes oder des Steins, während Anish Kapoor visuelle Abgründe öffnet. Cornelia Parker lässt mit «Cold Dark Matter» die Fragmente einer Explosion schweben. Hier ist die Materie instabil, fehlend oder explosiv, aber immer adressiert. In der zeitgenössischen Skulptur und Materie zählt nicht mehr das, was man sieht, sondern das, was man empfindet.

Eintritt einer Figur

In diesem Zusammenhang entscheidet sich René Mayer für eine Rückkehr zur Geste und zum greifbaren Volumen. Sein Ansatz geht vom direkten Modellieren mit Ton aus, wobei die Materie zunächst als taktile Erfahrung erfasst wird. Diese Statuetten werden dann manchmal von spezialisierten Werkstätten in Stein umgesetzt, wodurch die Serie «Marmor & Granit» entsteht. Im Gegensatz dazu wird jedes Stück der Serie «Viva Viva» von ihm allein geformt und bemalt. René Mayer akzeptiert also zwei Vorgehensweisen: eine kollektive Arbeit, bei der das Material monumentalisiert wird, und eine individuelle, unmittelbare Arbeit, bei der das Material roh und farbig bleibt. Diese Spannung verdeutlicht eine Besonderheit der zeitgenössischen Bildhauerei und des Materials: die Verbindung einer intimen Geste mit einer dauerhaften Umsetzung.

Zwei Familien – ein und derselbe Atemzug

Die Serien «Viva Viva» und «Marmor & Granit» scheinen gegensätzlich zu sein: Die ersten sind farbenfroh, ausdrucksstark und spontan, die zweiten poliert, stabil und still. Dennoch gehören sie zu derselben Recherche. Beide versuchen, einer Präsenz Gestalt zu verleihen. Paolo Bonfiglio sprach von „Kopffüsserskulpturen ohne Mund, aber mit einem immensen Blick”. Diese Definition unterstreicht, was beide Gruppen verbindet: nicht ein Stil, sondern eine Haltung gegenüber der zeitgenössischen Bildhauerei und dem Material. René Mayer versucht nicht darzustellen, sondern Formen zu schaffen, die ihre Präsenz von selbst behaupten.

Archetypen und Fragmente

Die Skulpturen von René Mayer imitieren nicht, sondern evozieren Archetypen. Ein gesichtsloser Kopf, ein eingeschnittener Block, zwei einander gegenüberstehende Formen: allesamt fragmentarische Figuren, die an menschliche Präsenz erinnern, ohne sie darzustellen. In «The Egoist» oder «Holy Moly» schliesst sich die Form, lässt aber einen Blick durch. In «The Other Side» scheinen zwei Massen miteinander zu kommunizieren, ohne sich zu berühren. Diese Werke erzählen keine Geschichte, sie bestehen. Sie stehen in der Tradition bestimmter Künstler des 20. Jahrhunderts – Richier, Fautrier, Abakanowicz –, jedoch ohne Pathos. In der zeitgenössischen Bildhauerei und in der Art und Weise, wie René Mayer mit Materialien umgeht, ist Unvollkommenheit keine Schwäche, sondern eine Stärke.

Der Ort als Erweiterung der Form

René Mayers Skulpturen, die in der piemontesischen Natur installiert sind, drängen sich der Landschaft nicht auf, sondern fügen sich in sie ein. Marmor wird zu Moos, Granit fängt das Licht ein. Ihre Präsenz ist diskret, angepasst, ohne erzwungene Monumentalität. Die Serie «Viva Viva» schöpft auch aus Erinnerungen an den Basler Karneval: bunte Masken, groteske Erscheinungen. Aber es handelt sich nicht um Zitate, sondern nur um eine Energie, die in spielerische Formen übertragen wurde. Diese Einbettung in die Umgebung veranschaulicht einen besonderen Ansatz der zeitgenössischen Bildhauerei und des Materials: nicht den Raum zu kolonisieren, sondern ihn zu bewohnen.

Fazit – Eine Form der Beharrlichkeit

In einer Welt, die von Geschwindigkeit und flüchtigen Bildern dominiert wird, setzt René Mayer die Beständigkeit des Materials entgegen. Seine «Viva Viva» wie auch seine «Marmor & Granit» zeigen, dass zeitgenössische Skulptur und Material keine zu illustrierenden Konzepte sind, sondern ein Erfahrungsfeld. René Mayer versucht nicht zu erklären, er handelt: Er formt, er passt an, er lenkt. Was er hinterlässt, sind Formen, die Bestand haben, die widerstehen. Sein Werk zeugt von einer Beharrlichkeit: die Leichtigkeit des Flusses ablehnen und die Schwere der Formen bekräftigen. So werden seine zeitgenössische Skulptur und das Material zu einem Ort der Konsistenz, der Dichte und der bewohnten Stille.