Bevor die Skulpturen von René Mayer monumental werden, entstehen sie in seiner hohlen Hand. Er formt seine Formen nicht aus Marmor oder Granit, sondern aus einem weichen, warmen, organischen Material: Terrakotta. Es ist der Ton, der den ersten Atemzug des Werkes, die erste Bewegung und den ersten Schwung einfängt. In seinem Atelier bearbeitet Mayer den Ton mit einer intensiven, fast meditativen Aufmerksamkeit. Er modelliert, kratzt, passt an. Er sucht nach einem Gleichgewicht zwischen Spannung und Stabilität, zwischen Gewicht und Leichtigkeit. Erst wenn diese Form gefunden ist, kann das Abenteuer in Stein beginnen.
Terrakotta ist mehr als nur ein Arbeitswerkzeug: Sie ist das Herzstück seines künstlerischen Ansatzes.
Sie ist die Verbindung zwischen Idee und Material, zwischen Intuition und Form. Mit ihr kann der Künstler frei erforschen und ohne Zwang experimentieren. Er kann erschaffen, löschen und neu beginnen. In diesem Dialog zwischen der Hand, der Erde und dem Blick entstehen die Volumen, die später zu bedeutungsvollen und symbolträchtigen Steinskulpturen werden.
Terrakotta: ein Muss für den bildhauerischen Ausdruck
Man könnte meinen, dass Terrakotta nur ein Übergangsstadium, ein Arbeitswerkzeug vor dem „eigentlichen Werk“ ist. Dies wäre ein Irrtum. Bei René Mayer spielt dieses Material eine zentrale Rolle. Eine Bewegung kann mit einer einfachen Geste geändert, eine Linie mit dem Finger verfeinert und eine Silhouette ohne irreversible Folgen übernommen werden.
Das ist die Schönheit dieser Methode: Terrakotta wird zum Schauplatz der Entstehung der Form.
Alles ist möglich. Der Künstler sucht nicht nach dem perfekten Finish, sondern nach dem richtigen Ausdruck. Es ist kein Zufall, dass viele seiner Skulpturen – auch wenn sie später vergrößert werden – den Abdruck der ursprünglichen Modellierung behalten. Die Hand bleibt sogar im Stein sichtbar.
Dieser Prozess ermöglicht es ihm, eine formale und symbolische Kohärenz von der ersten Geste bis zum fertigen Werk zu bewahren. Es geht nicht nur darum, ein Objekt herzustellen, sondern eine Energie, einen Sinn und eine Absicht zu vermitteln. Und dafür ist Terrakotta unersetzlich.
Eine alte Tradition neu belebt
René Mayer folgt nicht nur einer zeitgenössischen Logik. Er schöpft auch aus einer uralten Tradition, die bis in die Renaissance und darüber hinaus zurückreicht. Das Modellieren in Ton, Gips oder Wachs und die anschließende Umsetzung in Stein oder Bronze ist eine Methode, die von vielen bedeutenden Künstlern im Laufe der Jahrhunderte angewandt wurde.
- Michelangelo, zweifellos der berühmteste Bildhauer aller Zeiten, fertigte seine Skizzen in Wachs oder Erde an. Diese Modelle dienten zur Vorbereitung des Marmorschnittes mit bemerkenswerter Präzision.
- AuchAuguste Rodin bevorzugte den Ton, um Bewegung und Emotionen einzufangen. Seine Assistenten reproduzierten die Modelle dann in Gips und später in Bronze, aber das Leben des Kunstwerks war bereits im Lehm vorhanden.
- Giacometti, der für seine schlanken und zerbrechlichen Figuren bekannt ist, arbeitete in der Dringlichkeit der Geste, in Gips oder Erde. Erst danach folgte der Guss.
- Selbst in der modernen Welt stützen sich Künstler wie Louise Bourgeois oder Antony Gormley auf diesen Ansatz: Formgebung in einem formbaren Material, bevor sie dauerhafteren Materialien anvertraut werden.
Auf diesem Weg ehrt René Mayer die Geschichte der Skulptur und bekräftigt gleichzeitig seine Einzigartigkeit.
Ein Dialog zwischen Hand, Materie und Gedanken
Was René Mayer auszeichnet, ist seine Fähigkeit, die Spontaneität des Modellierens mit einer strengen formalen Vision zu verbinden. Seine Werke sind niemals anekdotisch. Sie stellen unsere Beziehung zum Körper, zum Blick, zum Verlangen und zur Verbindung zwischen den Menschen in Frage.
Einige Figuren haben zwei Gesichter, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Andere haben die Form von Büsten mit stilisierten Organen oder einem einfachen Auge, das dort platziert ist, wo man einen Kopf erwarten würde. Es gibt weder Schnörkel noch Überflüssiges: jedes Element ist auf das Wesentliche reduziert. Man spürt den Einfluss der traditionellen afrikanischen Kunst, aber auch den des zeitgenössischen Designs. Das Ergebnis ist eine kraftvolle, angespannte und stille Ästhetik.
Und alles beginnt mit Terrakotta, diesem bescheidenen Material, das es Mayer ermöglicht, zu erforschen, zu verdichten und zu synthetisieren.
Wenn Erde zu Stein wird: die Rolle der Werkstätten
Sobald die Form gefunden ist, geht das Werk in eine andere Dimension über. René Mayer arbeitet mit Werkstätten zusammen, die auf Skulpturen aus Marmor oder Granit spezialisiert sind. Es handelt sich um erfahrene Handwerker, die die Werkzeuge und die Anforderungen des Materials beherrschen. Aber sie sind nicht allein an Bord: Mayer überwacht jeden Schritt. Er überprüft, korrigiert und fordert. Er sorgt dafür, dass der ursprüngliche Atem, der in der Terrakotta entstand, auch im Stein noch spürbar ist.
Der Übergang von Ton zu Marmor verwässert die Absicht nicht, sondern verankert sie.
Dieser Prozess ermöglicht es Mayer, monumentale Werke zu produzieren, ohne die Energie der ursprünglichen Geste aufzugeben. Er verleiht seinen Skulpturen eine doppelte Natur: gleichzeitig frei und kontrolliert, sensibel und dauerhaft.
Ein zerbrechliches Material für ein dauerhaftes Werk
Dieses Paradoxon steht im Mittelpunkt seiner Arbeit: ein zerbrechliches Material zu verwenden, um eine dauerhafte Idee auszudrücken. Terrakotta ist nicht dazu da, um die Zeit zu überdauern, sondern um das Wesentliche zum Vorschein zu bringen. Marmor hingegen ist dazu da, die Jahrhunderte zu überdauern. Der eine gibt die Form, der andere verleiht ihr Langlebigkeit.
Aber in beiden Fällen das gleiche Werk: eine Erforschung der menschlichen Präsenz, der Andersartigkeit, des Verlangens und der Identität. Ob aus Erde geformt oder aus Stein gehauen, die Skulpturen von René Mayer sprechen immer von derselben Sache: von uns.
Schlussfolgerung: Ein Werk, das in der Geschichte verwurzelt ist und in die Zukunft blickt
Terrakotta im Herzen der Skulpturen von René Mayer ist kein Slogan, sondern eine künstlerische Realität. Es ist eine methodologische, ästhetische und fast philosophische Entscheidung. Ausgehend von Ton bestätigt Mayer, dass die Hand des Künstlers auch in einem technikgesättigten Zeitalter von wesentlicher Bedeutung ist.
Er erinnert uns daran, dass der direkte Kontakt mit dem Material, die Langsamkeit des Modellierens und die Geduld des Erforschens auch heute noch die Grundlagen des Schaffens sind.
Und dass diese Tradition keineswegs überholt ist, sondern weiterhin kraftvolle, aktuelle und unvergessliche Werke hervorbringen kann.
Mit seinem Ansatz verbindet René Mayer die alten Meister mit den zeitgenössischen Praktiken. Er zeigt, dass Emotionen in einem Stück Ton entstehen und in einem Granitblock überleben können.